[Mediaevistik] CfP: Die Literatur des Mittelalters im Fantasyroman – Formen einer populären Rezeption
Nathanael Busch
busch at germanistik.uni-siegen.de
Di Jun 23 15:33:01 CEST 2015
Die Literatur des Mittelalters im Fantasyroman – Formen einer populären
Rezeption
Siegen, 7.-9. April 2016
Fantasy ist aus dem heutigen Buchladen nicht wegzudenken. Seit J.R.R.
Tolkiens 'Der Herr der Ringe' hat das Subgenre der 'High Fantasy',
welches explizit mit Motiven und Formen der Mythen, Sagen und der
Literatur des europäischen Mittelalters arbeitet, millionenfache
Bucherfolge aufzuweisen. Die Verfilmung der Werke Tolkiens brachte die
langanhaltende Popularität der Gattung auf einen vorläufigen Höhepunkt.
Aktuell wird der als "Epos" bezeichnete Zyklus von George R. R. Martin
('Ein Lied von Eis und Feuer') insbesondere durch die Fernsehserie 'Game
of Thrones' nicht nur bei Liebhabern wahrgenommen. Parodien wie die
Bücher von Terry Pratchett sind über die eingefleischte Fangemeinde
hinaus in der Populärkultur angekommen. Selbst der deutsche Fantasyroman
hat längst sein Nischendasein verlassen und kann sowohl mit
ernstzunehmenden Verkaufszahlen als auch Übersetzungen in andere
Sprachen aufwarten.
Es gibt keinen Zweifel daran, dass dieser Erfolg zu Beginn des 21.
Jahrhunderts auch und *gerade* einer populären Inszenierung des
Mittelalters geschuldet ist. Daraus ergibt sich das Interesse und die
Aufgabe der Literaturwissenschaft und speziell der Mediävistik, jenseits
jeglicher Gattungsvorbehalte und Epochengrenzen die produktive und
kritische Auseinandersetzung mit den Texten der Fantasy zu suchen.
Wir gehen von der Beobachtung aus, dass Bilder, Erzählungen und
Imaginationen vom Mittelalter in Fantasyromanen eine wichtige, wenn
nicht sogar die entscheidende Rolle für ihre Faszination spielen. Das
Mittelalter ist hier allerdings nicht als – im akademischen Sinn –
historiographisch angemessen beschriebene, "alteritäre" Epoche relevant,
sondern als diffuser Bereich von unterschiedlichen historischen und
gegenwärtigen Elementen, in welchem Vergangenes mit Phantastischem zu
einer Projektion des Anderen als eines Systems eigenen Rechts
verschmilzt. Es ergibt sich in romantischer Nachfolge das Bild einer
Welt, die durch ihren Glanz, ihre Ursprünglichkeit, ihre Phantastik
begehrt werden soll. Bisher sind solche Werke oft der "Trivial- oder
Bestsellerliteratur" zugerechnet und – mit wenigen Ausnahmen – von der
literaturwissenschaftlichen Forschung als wenig interessant taxiert oder
überhaupt nicht beachtet worden. Freilich wäre es unangemessen und wenig
ergiebig, der Fantasy-Literatur lediglich eine schlechte Machart und
Unkenntnis des Mittelalters vorzuwerfen. Vielmehr gilt es, literarische
Muster zu erkennen und mittelalterliche wie moderne Texte mit
wechselseitigem Gewinn miteinander ins Verhältnis zu setzen.
Die Tagung versteht sich als ein neues Forum der Verbindung von
mediävistischer Rezeptionsforschung und der Tradition der Siegener
Beschäftigung mit populärer Gegenwartsliteratur. Es wird nach Beiträgen
gesucht, die sich auf Fantasy mit kritischer Distanz einlassen wollen.
Gefragt werden soll beispielsweise nach Erzählstrukturen und
Handlungsräumen, nach dem Figureninventar bzw. Archetypen oder nach den
in diesen Texten ausgedrückten gemeinsamen Phantasmata des Mittelalters.
Ziel ist es, diese Texte aus einer wissenschaftlich-mediävistischen
Perspektive zu lesen, durchaus auch im Vergleich von Elementen
narrativer oder poetologischer Art mit der Literatur etwa des 13.
Jahrhunderts, und damit ihr Faszinationspotential zu erklären. Dabei
geht es uns nicht so sehr um die Aufarbeitung einer weiteren Facette der
reichen Mittelalter-*Rezeption* des 20. und 21. Jahrhunderts, sondern um
den bisher weitgehend unbeachteten spezifisch literarischen *Modus*
dieser populären Rezeptionsform. Interessant erscheinen weniger die
Aufnahme und Transformation mittelalterlicher Objekte, Mythen oder
Texte, sondern mehr die Formen der narrativen Aneignung und
Ausgestaltung von Mustern.
Gewünscht werden Beiträge z. B. aus folgenden Bereichen:
1. Strukturen des höfischen Romans. Im Gegensatz zu mittelalterlicher
Literatur ist Fantasy problemlos und ohne Vorwissen verständlich,
schließt also an eingeführte Erzählpraxen wie auch an bestehende
Imaginationen des Mittelalters an. Gleichwohl lassen sich Parallelen vor
allem zum epigonalen späthöfischen Romans in Gegenwartsmedien erkennen,
die das Mittelalter als Folie oder Hintergrund haben (Queste, doppelter
Kursus, Wunderketten / serielle Abenteuer, das Wunderbare und
Phantastische im ritterlichen "Unterwegssein" [Zumthor]).
2. Archetypen und Heldenbilder. Deutliche Schnittpunkte zeigen sich bei
mittelalterlichen und zeitgenössischen (männlichen und weiblichen)
Heldenbildern (Tugenden, Tapferkeit, List, ideale Schönheit, ritterliche
Gemeinschaft, Loyalität, Glauben etc.) und Archetypen (Herrscher,
Drachen, Feen, Krieger, Zauberer, Mahre, Zwerge und Riesen).
3. Glanz und Begehren: Figuren und Dinge in Bewegung. Romane des
Mittelalters leben vom Glanz ihrer Protagonisten, der Kleidung und
Ausstattung von Rittern und Damen, der Waffen und Rüstungen, der Burgen
und Feste. Sie werden als begehrenswert und staunenswert (splendor,
stupor) beschrieben, sind ideal konturiert, teils mythischen Ursprungs.
Dies wird in Fantasyromanen in hohem Maß aufgenommen und weitergeführt,
wobei wir vor allem an Selektion und Bearbeitung dieser Aneignung sowie
an aus Gattungsinterferenz entstandenen Hybridformen interessiert sind.
4. Erschaffung von Welten und Räumen. Seit Tolkiens 'Der Herr der Ringe'
ist die Schöpfung einer zeitlich und räumlich völlig autonomen
sinnstrukturierten Welt ("secondary creation") ein Kennzeichen der
Fantasy-Literatur. Topographische Einheiten werden zu Handlungsräumen
mit spezifischen Atmosphären. Fraglich ist, in welchem Umfang hier auf
mythische und literarische Anderwelten des Mittelalters als Folie für
diese Welten zu rekurrieren wäre.
5. Imaginationen. Fantasy-Welten sind verbunden mit einer Dominanz von
Ritualen und Religion, von Gewalt und Kreatürlichkeit, sie vermitteln
eine romantisierte Vorstellung von Rauhheit und Ursprünglichkeit. Aber
Ritualität, Gewalt und religiöse Haltungen finden sind andererseits auch
als wichtige Aspekte höfischer oder epischer Erzählungen wieder. Lässt
sich der Anteil genuin mittelalterlicher Narrative am heute gemeinsamen
Imaginären des Mittelalters genauer bestimmen?
Vorschläge (max. 1 Seite) für Beiträge werden bis zum 12.07.2015 erbeten
an: busch at germanistik.uni-siegen.de und velten at germanistik.uni-siegen.de
Organisation
Nathanael Busch, Hans Rudolf Velten
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