[Mediaevistik] Brügge

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Do Jun 9 05:05:44 CEST 2011


 
Guten Morgen Herr Bickel,
 
zu Ihrer Frage der klerikalen Beziehungen zwischen Norwegen und dem  Raum 
Brügge im ausgehenden 13. Jahrhundert lassen sich m.E. zwei Komplexe  bilden:
 
1. Finanzbeziehungen 
Brügge war tatsächlich ein zentraler Hinterlegungsort päpstlicher  
Einnahmen. Das hatte logistische und sicherheitsrelevante Gründe, es lagen  diesen 
Hinterlegungsbestimmungen päpstliche Erlasse zugrunde. "Die  nordischen 
Steuern, über die Nordsee kommend, ebenso die der östlichen Reiche,  die, der 
Richtung des Hansehandels folgend, teils zu Schiff, teils durch Wechsel  
übermittelt wurden, fanden in Brügge ihre  Depositare" und exemplarisch "Johann 
Muscato, Archidiakon zu Breslau  und Kollektor des Peterspfennigs, sollte das 
Geld an ihre Agenten in Brügge schicken [Potthast # 22556]" hier  zitiert 
aus dem Beitrag von Georg Schneider "Die finanziellen Beziehungen  der 
florentinischen Bankiers zur Kirche von 1285 bis 1304" (in: Gustav Schmoller  
[Hrsg.] Staats- und socialwissenschaftliche Forschungen Bd. 17 Heft 1  Leipzig 
1899 Vorwort VII-VII S. 1-72 mit passim. Bezug auf Brügge und  die nördl. 
Länder). Derartige Hinterlegungen aus dem skandinavischen Raum  in Brügge 
stellen sich demnach nicht als Besonderheit dar.
 
2. Kirchliche Beziehungen 
Die kirchlichen Kontakte und Handlungen zwischen Norwegen und der Zisterze  
Ter Doest bei Brügge sind demgegenüber außerordentlich und können mit  den 
o.g. Finanzverbindungen in der Tat nicht bzw. nicht ausschließlich  erklärt 
werden.
 
Ein Erklärungsansatz für eine Festigung - vielleicht sogar für  den Beginn 
- dieser besonderen Beziehung könnte der Lebensweg  des Thorfinn, Bischof 
von Hamar, Suffraganbischof des von Ihnen  erwähnten Erzbischofs Jon Raude von 
Trondheim, bieten. Die Konflikte mit König  Erik II. veranlassten auch 
Thorfinn zum Exil. Er gelangte - gemeinsam  mit Bischof Andres von Oslo - 
zunächst nach Rom und später  unter größter Mühe und Not (sogar von Schiffbruch 
wird berichtet) nach Brügge;  das Kloster Ter Doest wurde sein neuer 
Aufenthaltsort. Dort verstarb er am 8.  Januar 1285.  
 
Ferner erwähnenswert: Der von Ihnen erwähnte Jørund war   - nach Thorfinn - 
Bischof von Hamar und wurde 1287 zum Erzbischof von  Trondheim gewählt.
 
Inwiefern sich Thorfinn bis zu seinem Tod im Raum Brügge  bemerkbar gemacht 
haben könnte, müsste ggf. näher recherchiert  werden. Vielleicht wurde auch 
nur seine Rettung - aus Seenot -  mystifiziert. 
 
Literaturvorschläge:
 
Knut Gjerset "History of the Norwegian people" Bd. 1 S. 476 New Yorck  1915
John J. Delaney "Dictionary of saints" S. 601 2005 [Auszug: "After being  
involved in a shipwreck, he reached the Cistercian abbey of Ter Doest... 
...He  may have become a Cistercian at Tautra Abbey near Nidaros before his 
exile. His  life was commemorated in a poem written by Walter de Muda..."
Joannes Bollandus,Jean Baptiste Carnandet,Godefridus Hanschenius,Daniel van 
 Papenbroeck et al
"Acta sanctorum" Ed. nov. Bd 1 S. 548 Paris 1866
Thomas Benjamin Willson "History of the church and state in Norway from the 
 tenth to the sixteenth century" S. 219  London-Westminster 1903
Istituto storico italiano per il Medio Evo,... "Repertorium fontium  
historiae Medii Aevi" Bd. 11 T. 4 S. 430 [zur Vita Torphini - Auszug: "...,qui  
visit in monast. Thosano ab a. 1281-1282 usque ad mortem a.  1285..."] 
-[Thosano = Ter Doest]
 
Sigrid Undset "Saga of Saints" S. 279 1934 ND 1968 [Auszug:  "...Walterus 
de Muda was commissioned to write his recollections of the blessed  Thorfinn 
and the day of his death, 8th January,..."]
 
Freundliche Grüße 
 
Andreas Trotz
Riesdorf, Niederer Fläming

 
Guten Tag,
ich  weiß, dass ich mich mit meiner Frage an der Peripherie des
räumlichen und  sprachlichen Bereichs dieser Liste bewege. Aber
vielleicht weiß doch jemand  zufällig etwas über mein Problem:

Wann und wie sind die engen  Verbindungen zwischen Brügge und
Skandinavien im Mittelalter  entstanden?

Das Kloster Ter Doest bei Brügge nahm den Peterspfennig aus  Skandinavien
zur Weiterleitung an den Papst entgegen. Erzbischof Jon Raude  von
Nidaros (Trondheim) deponierte im Frühjahr 1281 20 Barren = 25 1/2  Pfund
Sterling Silber im Zisterzienser-Kloster Ter Doest bei Brügge -  kurz
bevor er von König Erik nach Schweden vertrieben wurde und dort  starb.

Bischof Johannes von Tournai, in dessen Bistum das Kloster lag,  erlaubte
zwischen 1292 und 1299 sogar dem Bischof von Oslo, in diesem  Kloster
Ordinationen vorzunehmen.

1300 ist der Erzbischof Jørund von  Nidaros in Brügge und gestattet dem
Abt von Ter Doest, an Festtagen 20 Tage  Ablass zu gewähren. Er durfte
offenbar dort ebenfalls bischöfliche  Amtshandlungen vornehmen.

Die Kaufleute Laurentius Spinelli, Bancus  Davantini und Perrozzus
Corsini saßen zu der Zeit in Brügge und Brüssel und  hatten
Empfangsvollmacht für die Gelder, die der Papst aus Norwegen,  Schweden,
Dänemark und weiteren Ländern zu bekommen hatte. Perrozzus war in  Brügge
Repräsentant für das Handelshaus Alberti antiqui in Florenz, das  ein
Haus in Brügge besaß. 
(Alles aus den Regesta  Norvegica)

Flandern scheint also eine eine Sammelstation für den  nordeuropäischen
Peterspfennig gewesen zu sein.

Aber das erklärt noch  nicht die besonderen Beziehungen zu Trondheim und
dem dortigen  Erzbischof.

In den mir zugänglichen skandinavischen Quellen habe ich  nichts
gefunden. Auch die dortige Literatur stellt nur die Verbindung im 13.  Jh
fest, aber nicht, wie es dazu kam. Aber die Wege von Textquellen in  den
Archiven sind unerforschlich, und vielleicht gibt es irgendwo auf  dem
Kontinent irgendetwas zu dem Problem.

Mit hoffnungsvollem  Gruß
Christian Bickel


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