[Mediaevistik] Herkunft eines Familienwappens, recte Notarszeichen
Seelbach
seelbac at uni-muenster.de
Son Mar 2 13:31:38 CET 2008
Lieber Herr Herz, liebe Liste,
noch einmal zu der Anfrage nach einem Wappen in der Inkunabel einer
lateinischen Bibel (roter Ast mit Eicheln auf blauem Schild):
Manchmal ist man eben betriebsblind (ich spreche von mir selbst) und
kommt nicht auf Dinge, die einem an anderer Stelle schon begegnet sind:
das Objekt auf dem blauen Tartschenschild ist keine heraldische Figur,
kurz, es handelt sich gar nicht um ein Wappen!
Zur Not ließe sich zwar die unheraldische Tinktur (rot auf blau) deuten
als (Rot-)gold auf Blau (Metall auf Farbe oder Farbe auf Metall ist die
Grundregel), doch irritiert das Gebilde am Fuß des Astes und die Initialen.
Es handelt sich bei der Figur um ein Notarszeichen (Notariatszeichen,
Signet). Der Signet-Typus, der auch hier vorliegt, besteht aus einer
ein- bis mehrstufigen Basis (= Signetnuß), darauf aufbauend ein Schaft
(= Signethals, oft mit einem Wulst) und dem Signetkopf. Zur
Veranschaulichung habe ich ein paar Abbildungen zusammengestellt aus dem
leider bis heute einzigen Darstellungs- und Abbildungsband von
Peter-Johannes Schuler: Südwestdeutsche Notarszeichen. Sigmaringen 1976:
http://www.uni-bielefeld.de/lili/personen/useelbach/material/signete.jpg
Das Beispiel 617 zeigt eine dreistufige Basis mit dem Namenszug des
Notars Johannes Selbach de Giessen (das Beispiel ist willkürlich gewählt
und dient nur der Veranschaulichung des Aufbaus). Der kurze Signethals
mit Wulst trägt eine zweistufige Plattform mit einem geschlossenen Flug
(heraldische Figur).
Viele dieser Notarszeichen erinnern an eine Monstranz (die ja ähnlich
aufgebaut ist), sie verwenden häufig gemeine Figuren, die auch in Wappen
auftauchen. Im Unterschied zu den Wappen ist die vom Notar für sein
Signet gewählte Figur frei wählbar. Die Notare waren nur gehalten, ein
Signet zu verwenden, das sich von bereits existierenden hinreichen
unterschied. Zu finden sind die Zeichen massenhaft in den sog.
Notariatsinstrumenten, d.h. den von den Notaren beglaubigten
Urkunden-Abschriften, ab ca. 1400 in der oben beschriebenen Form.
Der Name des Notars (617, 261, 377, 761)oder seine Initialen (208:
"C.B.d.V.", 540: "W.R.") finden sich meist in der Basis des Signets, so
auch in dem Fall der Inkunabel GW 4243 von Herrn Herz.
Das Zeichen eines gestümmelten Astes (wie in der Inkunabel) ist als
Notarszeichen weit verbreitet: hier geht der Signethals oft in den Kopf
über. Einen Lindenast zeigt das Signet von Conradus Ganser (208) und
Johannes Linggen (377), Lindenast mit Blüte begegnet bei Johannes
Hellgruber (261), zwei Blattformen zeigt die Nr. 761.
Der Ast im Notarszeichen der Inkunabel zeigt keine Blätter, sondern nur
zwei Eicheln. Auch das ist eine übliche Figur, beispielsweise bei
Wilhelm Rosstauscher (540), dessen Ast drei Eicheln trägt.
Der Ast der Inkunabel läuft dann aus in einer Lilienspitze, auch dies
ist eine übliches Zeichen oder Beizeichen von Signeten: ein Ast ohne
Blätter mit Lilienspitze sieht man bei Johannes Wachter (718), ein Ast
mit Herzblatt und Dreiblatt mit Lilienspitze bei Johannes Würgelin (761).
Nach Schuler verwenden Notare gelegentlich (!) Figuren, Helmzier oder
ähnliches aus ihren Familienwappen. Meist aber ist die verwendete Figur
frei erfunden. Es hat also wenig Sinn, den Eigner des Signets in
Wappenbüchern zu suchen. Dass das Signet in einen Schild gestellt und
koloriert wurde, mag damit zusammenhängen, dass der Notar seine Bücher
mit einem Besitzvermerk versehen wollte, der eben nicht nur aus dem mit
schwarzer Tinte gezogenen Notarszeichen bestehen sollte. Auch der Suche
nach Notarszeichen in Manumed (zwei Suchbegriffe: Notarszeichen,
Notariatszeichen; zur Sicherheit noch: Notariatsinstrument, denn in
diesen Urkundenabschriften ist ein Notarszeichen am Ende oder Anfang
enthalten) stieß ich auf einen verwandten Fall: In der Nürnberger (GNM)
Handschrift 15033 (Anfang 16. Jh.) finden sich das Notarszeichen von
Georg Federmann im Tartschenschild. Das Signet zeigt die Initialen des
Notars: "G. F."
Fazit: der Anfrage von Herrn Herz verdanke ich eine neue Einsicht, dass
es nämlich Notarszeichen im Schild gibt, die als Exlibris fungieren.
Besitzer solcher Schild-Signete sind Notare. Über die Signete sind
Vorbesitzer viel eindeutiger zu identifizieren als über ein
Familienwappen (da kommt ja schließlich die ganze Sippe über einen
großen Zeitraum in Frage). Das Problem ist nur dies: bislang sind die
Notarszeichen für den Südwesten Deutschlands erfasst (zudem lückenhaft).
Eine Sammlung für den Südosten oder Ost- und Westmitteldeutschland wäre
ebenso wünschenswert wie eine Sammlung im niederdeutschen Raum.
Ein Anfang wäre schon gemacht, wenn die Handschriftenbearbeiter (z.B.
Karin Schneider zu Cgm 581, Spiegelblätter: Urkunde mit Notariatszeichen
des Oswald Hainzczel zu Augsburg; Joachim Ott im Gießener Katalog
Butzbach II, S. 18: Notariatsinstrumente des Mainzer Notars Henricus
Orthenberg [Henricus Richardus de Ortenberg]) und Archivare (in den
Archiven befinden sich selbstverständlich die meisten beglaubigten
Urkunden) die Notars-Signete deutlich im Katalogisat und im Register
bzw. Findbuch auswiesen.
Viel Glück bei der weiteren Suche nach dem Notarius und Vorbesitzer "H. O."
Ulrich Seelbach