[Mediaevistik] Prügelstrafe für Heinrich von Katlenburg

Christian Bickel Christian.Bickel at t-online.de
Die Apr 15 11:45:00 CEST 2008


 "Dr. Dieter Riemer" <mailto:dr.riemer at nord-com.net> schrieb:
> Liebe Listenteilnehmer,
> 
> Thietmar von Merseburg, Chron. V cap. 7, gibt als mögliches Motiv für 
> den tödlichen Überfall auf den Thronanwärter Markgraf Ekkehard von 
> Meißen 1002 an, daß der Kaiser den Mittäter Heinrich (von Katlenburg) 
> auf Veranlassung des Getöteten früher habe auspeitschen (flagellis) 
> lassen. Soweit für mich ersichtlich, hat man sich hierüber bisher wenig 
> bis keine Gedanken gemacht.
> 
> Die Geißelung eines Grafensohnes - ggf. schon selbst Graf - scheint mir 
> sehr ungewöhnlich zu sein. Nach Jacob Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer 
> II, ND 1983, S. 290 war dies eine Strafe für einen Unfreien. Ein Freier 
> verlor, wenn die Prügelstrafe gegen ihn vollstreckt wurde, seine 
> Freiheit. Nach Sachsenspiegel, Landrecht, II 13 § 1, konnte ein 
> Bauermeister den Diebstahl geringwertiger Sachen unverzüglich zu Haupt 
> und Haar richten. Ich interpretiere den letzten Satz der dortigen 
> Regelung so, daß der Täter durch die Bestrafung ehrlos und 
> gerichtsunfähig wurde.
> 
> Sind jemand vergleichbare Regelungen oder andere Nachrichten über die 
> Auspeitschung (Hoch)adliger und deren Folgen bekannt?

Zunächst hätte ich gern gewusst, woher die Ansicht stammt, dass die Vollstreckung der Prügelstrafe den Verlust der Freiheit bedeutet. Denn der Unfreie steht unter eines anderen Munt. Unter wessen Munt hätte Heinrch geraten/stehen sollen?
Ich interpretiere den Satz anders: Nicht die Prügelstrafe zieht die Ehrlosigkeit nach sich, sondern die rechtskräftige Feststellung des Diebstahls oder einer Tat, auf die die Prügelstrafe angedroht ist.
Und was heißt "gerichtsunfähig"? Er war, würde man heute sagen, der bürgerlichen Ehrenrechte beraubt, konnte also kein öffentliches Amt ausüben. Aber das scheint mir eine Besonderheit kontinentalen Rechts zu sein. Im mittelalterlichen Skandinavien hatte die Verhängung der Prügelstrafe diese Rechtsfolgen nicht. Weder in der Grágás, noch im Gulaþingslov noch im Frostathingslov noch im Birkarecht oder dem altschwedischen Recht sind diese Rechtsfolgen erkennbar. Das muss allerdings nichts heißen, da in den Gesetzen die Prügelstrafe den Unfreien vorbehalten war [Frostathingslov II, 2 (Kindesaussetzung beim Knecht); II, 28 (Ein Knecht arbeitet freiwillig an Sonn- oder Feiertag); X, 40 (entlaufener Knecht)].
Gegen die Ansicht, dass die Prügel selbst die Rechtlosigkeit erzeugen, spricht, dass es eine vorübergehende Rechtlosigkeit in der Schuldknechtschaft gibt. Während dieser Zeit soll der Schuldknecht nicht geschlagen werden SSp. III, 39 § 1; Gulathingslov § 71, wo der Bußanspruch eines geschlagenen Schuldknechtes besprochen wird. Das heißt, der Grad der Rechtlosigkeit bestimmt die Möglichkeit der Prügelstrafe, und nicht die Prügelstrafe den Grad der folgenden Rechtlosigkeit.

Der obige Satz "Ein Freier verlor, wenn die Prügelstrafe gegen ihn vollstreckt wurde, seine Freiheit." müsste danach richtig heißen: Nur gegen einen Freien, dem die Freiheit auf Grund seines Verhaltens abgesprochen worden oder abzusprechen war, durfte eine Prügelstrafe verhängt und vollstreckt werden.

Christian Bickel