[Mediaevistik] Nibelungenlied Lehrwerk
Hermann Reichert
hermann.reichert at univie.ac.at
Mon Feb 12 16:55:01 CET 2007
Liebe Liste
Soeben (Ende Februar 2007) erscheint:
Hermann Reichert
Nibelungenlied-Lehrwerk. Sprachlicher Kommentar, mittelhochdeutsche
Grammatik, Wörterbuch. Passend zum Text der St. Galler Fassung („B“).
Praesens Verlag, Wien 2007. ISBN: 978-3-7069-0445-2. Preis: EUR (D) 26,20.
http://www.praesens.at <http://www.praesens.at/>
zur Information folgt hier das Vorwort (in der Internetfassung)
Mit herzlichen Grüßen
Hermann Reichert
VORWORT
„... musste das Nibelungenlied für den deutschen Leser übersetzt werden.“
(Klaus von See, Das Nibelungenlied – ein Nationalepos? In: Die Nibelungen.
Sage – Epos – Mythos, hg. J. Heinzle u. a., S. 337).
Dass dieser Satz stimmt, obwohl das Mittelhochdeutsche sich nicht viel mehr
vom heutigen Deutsch unterscheidet als das Englisch Shakespeares vom
heutigen, bedeutet, dass wir, die Universitätslehrer, unsere Hausaufgabe
nicht gemacht haben. Von Auflage zu Auflage der Paulschen Grammatik werden
die Grundzüge des Schreibens wissenschaftlicher Grammatiken
durchdiskutiert, aber wenn es darum geht, das Wichtigste auszuwählen und
verständlich darzubieten, sind wir ratlos. Minimalisierung allein, wie die
Minimalgrammatik von Gärtner – Steinhoff, befriedigt dringendste Bedürfnisse
des ersten Anfängerunterrichts in Grammatik, aber die nächste Stufe, zur
Textbewältigung, ist zu hoch: Mit diesem Rüstzeug kann man ein Werk wie das
NL nicht verstehen, auch wenn man eine kommentierte Ausgabe, wie die von
Bartsch / de Boor, zur Hand hat. Das Resultat: man greift zur Übersetzung,
die im besten Fall langweilig ist und dieses Urteil über die Dichtung
sprechen lässt, oder die Weltanschauung des Übersetzers transportiert, was
schlimm ist. Übersetzungen braucht man, wenn man die Sprache eines Textes
nicht versteht, dann braucht man den Originaltext nicht unbedingt daneben.
Eine Übersetzung muss den Sinn des Originals wiedergeben, der schließt bei
Dichtungen Gefühlsnuancen ein. Vom Mhd. zum Nhd. haben sowohl die
Wortbedeutungen oft leichte Bedeutungsverschiebungen als auch die
Konstruktionen leichte Funktionswandel durchgemacht, dadurch wäre für die
Wiedergabe von Sinn und Gefühlswerten oft nhd. eine ganz andere Wortwahl
nötig, auch wo die mhd. Wörter heute noch leben. Trotzdem gelingt Übersetzen
nur unvollkommen. Es ist schade, einen Text in Übersetzung zu konsumieren,
dessen Originalsprache man relativ leicht lernen könnte. Die
zweisprachigen Ausgaben führen nicht zum Originaltext hin, sondern von
ihm weg; vor allem, wenn sie sich bemühen, gut zu sein, das heißt, gut
lesbares Nhd. zu bieten, das Sinn und Gefühlswerte vermittelt. Wenn ich
einem Text überhaupt Übersetzungen beigebe, dann möglichst „schlechte“,
die die Fähigkeit schulen sollen, das Auge zum Original zurückzuwenden.
Das geht mit kurzen Texten, wie Gedichten von wenigen Strophen (diesem
Grundsatz folgt z. B. mein Buch über Walther von der Vogelweide). Für einen
epischen Langtext braucht unser Publikum eine intensivere Unterstützung
als die gängigen Kommentare, aber nicht die Krücken einer Übersetzung. Es
ist z. B. nicht nötig, jemandem niht schœners mit ‚nichts Schöneres‘ zu
übersetzen. Aber zum Verständnis der grammatischen Struktur hilft es,
wenn ich entweder zu schœners anmerke „Gen.“ oder die Struktur klarlege,
indem ich dazuschreibe ‚nichts des Schöneren‘, was keine Übersetzung ist, da
es nhd. nicht korrekt wäre; zum Verständnis des Sinnes hilft es, wenn ich
zu daz in allen landen niht schœners möhte sîn anmerke „sie war von idealer
Schönheit“. Zum Verständnis verschlungener mhd. Sätze ist es hilfreich, sie
auf Mhd. in einer einfacheren Wortfolge wiederzugeben. Ich benutze diese
Möglichkeiten abwechselnd und, wo es nützlich erscheint,
nebeneinander. Nur bitte ich, sie nicht für Übersetzungsversuche zu
halten. Eine nhd. Übersetzung von niht schœners wäre wirklich nur ‚nichts
Schöneres‘, und gerade das braucht niemand, der das Original lesen kann.
Die Grammatik, vor allem die Formenlehre, ist so angelegt, dass auch die
anderen wichtigen Werke der Blütezeit um 1200 mit berücksichtigt werden;
Metrik und Wörterbuch sind speziell auf das NL als Einführungstext
ausgerichtet.
Gliederung, Darstellungsmethoden, Terminologie und Auswahl richten sich
nicht danach, was ich für eine wissenschaftliche Grammatik des Mhd. adäquat
halte, sondern nach den erfahrungsgemäß Studienanfängern von der Schule her
vertrautesten Systemen; meine Problemstellung ist hier pragmatisch: Wie
führt der schnellste Weg von den mitgebrachten Vorkenntnissen zur
Fähigkeit, den Text zu verstehen?
Der fortlaufende Kommentar enthält viele sprachliche, aber nur die nötigsten
sachlichen Erklärungen, da diese besser im meiner Ausgabe des Textes
angeschlossenen Interpretationsteil nach Themen als hier nach
Strophenfolge behandelt werden. Viel Information wird mehrfach gegeben:
zwar soll auch der Anfänger das Blättern in den Hilfsmitteln üben, aber
andauerndes Blättern demotiviert. Daher werden manche Wortbedeutungen
auch zur Zeile angegeben, andere müssen im Wörterbuchteil
nachgeschlagen werden. Rückmeldungen zeigen, dass man für die
Arbeitsersparnis dankbar ist und den größeren Umfang des Buches durch
Wiederholungen in Kauf nimmt.
Die historischen und realienkundlichen Bemerkungen verdanken der Beratung
durch Karl Brunner (Institut für österreichische Geschichtsforschung) viel.
Wertvolle Hinweise gab Joachim Heinzle, Marburg. Den Genannten danke ich
herzlich.
Der Praesens Verlag hat den Mut gefunden, eine Internet-Publikation neben
der Druckausgabe zuzulassen. Das ist ein schweres Unterfangen: einerseits
dient es dem Fortschritt, wenn man ein Werk sowohl am Bildschirm ohne
Formalitäten anklicken als auch auf Papier lesen und in ihm blättern kann;
anderseits verzichten dann einige Leute auf die Druckausgabe. Je kleiner
die Auflage, desto teurer wird aber das einzelne Exemplar. Man muss also so
optimistisch sein, anzunehmen, dass sich die Germanisten wie Gentlemen
benehmen und nicht mit Raubprogrammen die Verschlüsselung knacken und
Kopien anfertigen, die freilich auch für den, der sie bezahlt, nicht billig
sind. Geschädigt werden von illegalen Handlungen alle Gemanisten, weil
dann Druckausgaben teurer werden müssen, dann noch weniger gekauft und
letztlich unmöglich werden, was ein schwerer Schlag wäre, denn in vielen
Situationen ist ein gedrucktes Buch doch das beste Medium. Besonders
herzlich danke ich dem Verlag für den Optimismus, auf die Vernunft der
Benutzer zu vertrauen.
Dieses Werk ist sowohl als gedrucktes Buch als auch im Internet zugänglich.
Die Internetfassung ist zugänglich über:
http://www.fh-augsburg.de/~harsch/germanica/Hilfsmittel/d_hilfsmittel.html
oder:
http://homepage.univie.ac.at/Hermann.Reichert/
Der normalisierte Text der Handschrift „B“ des Nibelungenliedes wird
zitiert nach:
Das Nibelungenlied. Nach der St. Galler Handschrift hg. v. Hermann Reichert.
VII, 549 Seiten. Berlin, de Gruyter, 2005. ISBN 3-11-018423-0 (Text und
Interpretation).
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