[Mediaevistik] Verserzählungen?

Sabine Seelbach o. Ulrich Seelbach seelbac at uni-muenster.de
Sam Dez 8 13:18:06 CET 2007


Liebe Liste,

noch ein kleiner Nachtrag zur Suche. Da ich davon ausgehe, dass eine 
Identifizierung der Quellen dieser Prosa-Nachträge umgehend publiziert 
worden wäre, habe ich dem Argument ex silentio der Forschungsbeiträge 
folgend angenommen, dass es seit Carl von Kraus und den knappen 
Bemerkungen von Schirok keine Fortschritte bezüglich der Prosatexte 2 
und 3 gegeben hat. Dies scheint in der Tat sich so zu verhalten, denn 
sonst hätte die vollständige Bibliographie zum Cgm 19 im "Marburger 
Repertorium" wohl einen weiteren Eintrag unter "Prosa-Nachträge" (außer 
Piper und von Kraus) geboten:
cgi-host.uni-marburg.de/~mrep/beschreibung.php?id=274 
<http://cgi-host.uni-marburg.de/%7Emrep/beschreibung.php?id=274>
Die beste Wiedergabe der Prosastücke findet sich nach wie vor bei von 
Kraus (1930), kontrolliert werden kann das am Schwarz-Weiß-Faksimile des 
Cgm 19 von Engels/Dressler (1970), Bl. 75r.
Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass irgendwo doch noch 
Parallel-Überlieferung zu den beiden Texten existiert. Aber dann sollte 
die Suche doch etwas präziser umgelenkt werden:


Michael Stolz schrieb:
> Eintrag 2:
>
> Incipit "Iz sanch ein munich von etle d(a ze?)
> wazzerpurch". 
> Erzählt wird die Geschichte eines ertrunkenen Bürgers "in der stat"
> (Wasserburg), der in der Todesstunde die Geistlichen bittet, zu seinem
> Gedächtnis (in der Seelenmesse) jeweils zu erwähnen, dass er eine
> "ertrunchene sele" sei. Das Ansinnen des Sterbenden aber wird mit dem
> Hinweis abgelehnt, dass Gott im Wasser gleich gnädig sei wie zu Lande, denn
> die menschliche Seele entfahre dem Wasser geradeso wie der 'Flatus'
> einer Frau dem Bade. Das ruft eine Frau namens Hilde auf den Plan,
> die sich gegen diesen misogynen Klerikerwitz mit der Bemerkung
> verwahrt, dass sich ein Mann bei solchen Blähungen nicht minder
> besudle ("besule").
>   
Über einen Spruchdichter "Der Mönch von Attel" ist mir nichts bekannt. 
Ob der Gelegenheits-Sänger ("Iz sanch ...") viel mehr als diesen Schwank 
produziert hat, wissen wir nicht. Aber wenn er ihn besungen hat, wird 
die Quelle des Prosastücks strophisch gewesen sein und keine 
Verserzählung. Der Mönch von Attel stammte aus der gleichnamigen 
Benediktinerabtei Attel bei Wasserburg am Inn (wazzerpurch).
> Eintrag 3:
>
> Dieser Eintrag bricht bald nach dem Beginn ab; darüber hinaus sind die
> angeführten Namen aufgrund der schlechten Lesbarkeit
> nicht immer klar erkennbar: Ein Ritter (poppe von ...), beklagt sich
> bei einem Herzog (lud ewige) darüber, dass ihm wer(nar?)t von le-
> wenperch einen Rock gestohlen habe. Mehr als diese Ausgangssi-
> tuation ist nicht erkennbar.
>   
Bei Herzog Ludwig handelt es sich wohl nicht um Herzog Ludwig II. (den 
Strengen; 1229-1294) und den Fahrenden Boppe (der in den 80er/90er 
Jahren dews 13. Jhs. wirkte). Ich nehme an, dass es sich um eine 
Anekdote handelt, die weder auf einen Spruch zurückgeht (obwohl man 
gleich an Walthers Atze- und Tegernsee-Sprüche denken könnte) noch auf 
eine Verserzählung. Hier haben wir den eher seltenen Fall, dass eine 
mündlich kursierende Anekdote schriftlich (in Prosa) festgehalten wurde. 
Als Erinnerunghilfe für den Schreiber (den damaligen 
Handschriften-Eigner?) mag sie auch in der Unvollständigkeit ihre 
Funktion erfüllt haben.
Was die Personen betrifft, so findet sich sowohl in der ersten Hälfte 
des 13. Jahrhunderts als auch in der zweiten Hälfte (und öfter, der Name 
Wernhart war Leitname) ein Graf Wernhart von Leonberg. Ich nehme an 
(schon weil die Einträge nicht erst um 1300 vorgenommen wurden, sondern 
in der 2. H. des 13. Jhs., so Karin Schneider 1987, S. 150 ff.), dass es 
sich um den u. a. 1237 bezeugten Grafen Wernhart (von Lewenberc) 
handelt. Dann wäre Ludwig I. von Bayern, der Kelheimer (1173-1231), der 
erwähnte Herzog, dessen "camerarius et ministerialis" 1223 der bei 
Straubing ansässige Poppo von Geltolfing war (Landshuter Urkundenbuch, 
S. 6 f.).
Parallel-Überlieferung zum Prosa-Text mag auch hier zu finden sein. Dann 
aber würde ich eher eine Suche in Richtung lateinischer Chronistik 
versuchen.

Interessant ist nicht nur der Wortschatz (Ralf Plate) der 
Prosanachträge, sondern auch die eigenartige Schreibsprache, die eher in 
die Pfalzgrafschaft (Ludwigs Sohn Otto II. erwarb für die Wittelsbacher 
die Pfalzgrafschaft bei Rhein) als nach Bayern weist (wo der Cgm 19 
selbst entstanden sein dürfte: nach Klein (1992), S. 53: bair.-ostalem.).

Mit besten Grüßen, Ulrich Seelbach


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